Ansprache (Joh 15, 9-17)

Bleiben

Das Wort „bleiben“ ist ein sehr unspektakuläres Wort, kommt aber im Evangelium vom Tage gleich vier Mal vor, auch in dem zentralen Satz „Bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15, 9)

Im heutigen Kontext

Dieses Verb hat auf den ersten Blick etwas Statisches  an sich, und in Zeiten, in denen das einzig Sichere der Wandel ist, auch einen eher „konservativen“ Touch. Hinzukommt, dass heute die öffentliche Meinung das „bleiben“ und in unserem Fall das Bleiben in der Kirche, das Christsein und den Glauben insgesamt doch eher als „nicht mehr aktuell“, als „Schnee von gestern“, als „fortschrittsfeindlich“ betrachtet. In einer solchen Situation scheint das Gehen für einen modernen Menschen die einzig plausible Konsequenz zu sein.

Bleiben oder gehen?

Diese Frage „Bleiben oder gehen?“ scheint momentan bei vielen Christen sehr aktuell zu sein, und man kann es auch niemandem verdenken angesichts der Schlagzeilen, die tagtäglich in den Medien über unsere Kirche kursieren. Bleiben oder gehen ist die Frage, mit der viele Christinnen und Christen momentan ringen, auf der progressiven wie auf der konservativen Seite. – Die Austrittszahlen sind in den letzten Wochen wieder nach oben gegangen.

Zu wem sollen wir gehen

Die Jünger Jesu waren damals selbst in einer ähnlichen Situation. Viele hatten sich von Jesus abgewandt, und der Herr fragte seine Freunde: „Wollt auch ihr weggehen?“ (Joh 6, 68). Simon Petrus antwortete damals: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“

Nun ist es nicht so, dass alle, die heute aus der Kirche austreten, es deswegen tun, weil sie von Jesus enttäuscht sind – ein großer Teil geht, weil sie von den Missständen in der Kirche enttäuscht und verärgert sind. Es ist schwer zu erklären, um nur die Frauenfrage aufzugreifen, warum es nach einer Hildegard von Bingen oder einer Katharina von Siena für die Frau in der Kirche keine kontinuierliche Weiterentwicklung in der Ämterfrage gegeben hat. Angesichts Ihrer großen Verdienste für die Kirche kann man das einem jungen Menschen heute nur schwer erklären. Dennoch möchte ich fragen – ist das Gehen, das Verlassen der Kirche wirklich die einzige und richtige Antwort heute?

Die Option Jesu

Die Option Jesu heißt „bleiben“ und meint ein Bleiben in seiner anspruchsvollen Variante, nämlich „bleibt in meiner Liebe“. Und das beschreibt die eigentliche Herausforderung, vor die jeder Christ und jede Christin gestellt sind. Der Satz lädt ein, zu prüfen, wo wir die Maßstäbe Jesu verlassen, Ausreden gesucht, Lieblosigkeit kaschiert, aus Karrieresucht gehandelt, das Gebet vernachlässigt, Menschen missbraucht, Buße und Umkehr nicht Ernst genommen haben.

Die Option Jesu ist sicher kein bequemes Sich-Zurücklehnen, sondern meint Umkehr, meint ein konsequentes sich Ausrichten am Wort Jesu, am Willen des Vaters. Alles andere hilft der Kirche nicht weiter, bringt keine Erneuerung, keine tragenden Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit.

So gesehen hat diese Krisenzeit etwas Positives an sich, sie ist eine Zeit der inneren Reinigung, Zeit der Umkehr, Zeit des Authentisch-Werdens, sie ist Einübung in die Nachfolge Jesu. Sie ist eine Chance.

Das Bleiben macht also auch weiterhin Sinn, es macht sogar Freude und stimmt zuversichtlich.

Gehen ist keine Option!