Weihnachtsgruß – Gott des Neuanfangs

Als wir neulich mit einer Gruppe Deutscher aus Russland im Straßburger Münster waren, machte mich Jean-Paul Ehrismann, ein bekannter elsässischer Künstler, auf das zentrale Buntglasfenster in der Apsis aufmerksam. Das Fenster in der Mitte des Münsters ist der Mutter Jesu gewidmet. Im oberen Teil des Fensters ist ein Sternenkranz zu sehen, der aus 12 leuchtenden Sternen besteht, eingebettet in ein dunkles Nacht-Blau. Unweigerlich musste ich an die EU-Fahne denken, die wir fast jeden Abend irgendwo in den Nachrichten sehe.

Das Buntglasfenster wurde erst nach dem II. Weltkrieg geschaffen. Dabei wurden die weit ausgebreiteten Arme der alten Marien-Darstellung beibehalten. Die Sternenkrone ist jedoch neu. Hat diese Zwölfsternenkrone Mariens tatsächlich etwas mit der EU-Fahne zu tun oder ist dies nur ein traditionelles Element, vielfach woanders zu bestaunen?

Eine Geschichte erzählt, dass ein jüdischer Journalist, der noch vor dem II. Weltkrieg Katholik wurde, sich aber dennoch verstecken musste, um die schlimmen Kriegsjahre zu überleben, von den Siegermächten den Auftrag erhalten hatte, einen Fahnenentwurf für die neu zu schaffende Europäische Union vorzulegen. Der erste Entwurf, der sich stark an den skandinavischen Fahnen orientierte und ein Kreuz beinhaltete, sei – so die Erzählung – von einem nicht christlichen Land abgelehnt worden. Etwas später ging der Journalist an einem sonnigen Wintertag auf dem Brüsseler Marienplatz spazieren und als er zur Marienstatue hochblickte sah er den goldenen Sternenkranz der Madonna vor einem schönen Himmelsblau. Eine neue Idee war geboren. Der zweite Entwurf mit zwölf Sternen auf einem blauen Hintergrund wurde von allen Mitgliedern der Prüfungskommission als hoffnungsvolles Zeichen für den neuen Staatenbund angenommen.

Die Elemente dieser neuen Fahne wurden dann später bei der Neugestaltung des Marienfensters im Straßburger Münster übernommen. Straßburg sollte ja die Hauptstadt der Europäischen Union werden, heute teilt es sich diese Aufgabe mit der belgischen Hauptstadt Brüssel und die Abgeordneten pendeln viele Male im Jahr hin und her.

Mich staunte diese Entdeckung im Marienfenster des Straßburger Münsters, ebenso die Entstehungsgeschichte der EU-Fahne. Haben wir doch vor einigen Jahren noch heiß diskutiert und kritisiert, dass der Gottesgedanke keinen Eingang in die Europäische Verfassung gefunden habe, und dass Europa seine Geschichte und den Geist, der es formte, verleugne. Doch Gott scheint eigene Wege zu finden, um in seiner Welt anwesend zu sein. Die blaue EU-Fahne mit dem 12-Sternenkranz ist ein Zeichen dafür.

Gott bleit in seiner Welt gegenwärtig, oft unspektakulär und überraschend. Er sorgt immer wieder für einen Neuanfang, und schenkt den Menschen Zukunft, ohne Unterschied; die zwölf Sterne stehen für die zwölf Stämme Israels und im weiteren Sinne für die ganze Menschheit. Dies sich bewusst zu machen, ist ein trostreicher und beruhigender Gedanke inmitten aller Sorgen und Zukunftsangst, die die Menschheit umtreibt.

An Weihnachten feiern wir die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Wir sagen dazu, dass der ferne Gott uns nahegekommen ist, als Kind in der Krippe. Dass er einer wurde wie wir, in allem uns gleich, außer der Sünde (Hebr 4,15). Die Welt ist somit nicht mehr Gott-los. Und wenn wir manchmal das Gefühl haben, dass er fehlt, spüren wir doch im nächsten Augenblick, dass es nicht stimmt. Das Straßburger Marienfenster mit dem 12 Sternenkranz und die blaue Fahne der Europäischen Union mit ebendiesem Sternenkranz zeigen uns aufs neue, Gott bleibt in seiner Welt in verborgenen Zeichen gegenwärtig – als Hoffnung, als Segen, als Schutz, ausnahmslos für jeden Menschen.

Liebe Landsleute, ich wünsche Ihnen in den kommenden Weihnachtstagen die Nähe dieses gütigen und liebenden Gottes zu erfahren, dass er Hoffnung schenkt und Licht in das Dunkel unserer Tage bringt!

Ihnen allen ein gesegnetes und frohes Weihnachtsfest, Gottes Segen und Geleit im Neuen Jahr 2020!

Ihr Msgr. Dr. Alexnader Hoffmann, Domvikar